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gu intro kGoldsteig Ultrarace 2014

Ein Beitrag von Kristina Tille

661 km und ca. 19000 hm im Zeitlimit von 192 Stnden -  das sind die Eckdaten des Goldsteig-Ultrarace, des damit bislang längsten Ultratrails Europas. Nur etwas mehr als 30 Läufer hatten sich auf dieses von Michael Frenz organisiertes Abenteuer eingelassen, fünf, darunter Kristina Tille als einzige Frau, haben das Ziel erreicht.

Sie berichtet von ihrem Erlebnis Goldsteig-Ultrarace und einer völlig neuen Ultralauferfahrung:

Marktredwitz (09.10.2014) Als vor knapp 2 Jahren die Ausschreibung des Goldsteig-Ultra-Race veröffentlicht wurde, waren Andreas und ich sofort ablehnend eingestellt, da dieses Unternehmen ja nun doch zu unmöglich und verrückt sei. Gerne sind wir jeweils dabei, wenn die Strecken etwas länger werden, aber hier schüttelten wir einfach nur verständnislos mit dem Kopf. Nonstop 661 Kilometer mit 23.500 positiven Höhenmetern über Stock und Stein zu laufen? Unmöglich! Nur wenige Wochen später gewann doch der Reiz der Herausforderung, sich zur Anmeldung beim längsten Nonstop-Rennen Europas zu entscheiden.

Zum Lauf angemeldet hatten sich 70 Sportler, am Start standen dann tatsächlich 35 Läufer. Das Starterfeld war international besetzt. Japaner, Chinesen, Norweger, Dänen, Amerikaner, Spanier, Finnen, Österreicher, Italiener, Britten und Deutsche stellen sich der Mammutstrecke.

Am Samstag, den 27.09. sollte es dann soweit sein, dass wir am Beginn des Goldsteig-Wanderweges in Marktredwitz stehen würden. Wer von uns könnte innerhalb des Zeitlimits von 192 Stunden das Ziel erreichen können? Am Abend zuvor hatten wir noch mit einigen anderen Läufern aus der Ultrafamilie das eine oder andere letzte Bier oder Glas Wein getrunken. Neben der kribbelnden Anspannung und quälenden Ungewissheit, war auch jede Menge Zuversicht unter den Ultraläufern zu spüren. Jeder hatte sich individuell einen ungefähren Zeit-, Schlaf- und Versorgungsplan erarbeitet. Unser großes Glück bestand darin, dass wir unsere lieben Freunde Achim Herrmann und Olaf Woyjtaszek dazu gewinnen konnten, mit einem Wohnmobil unsere mobile Begleitstation zu sein. Später verrieten uns die Beiden, dass sie wohl kaum an ein Finish und die Möglichkeit, dass jemand solch eine Distanz bewältigen kann, geglaubt hatten.

Goldsteig-Ultrarace - Woyjtaszek (Begleiter) , Kristina Tille, Achim Hermann (Begleiter), Andreas Geyer Goldsteig-Ultrarace - Achim und Olaf sorgten sich um unsere Füße und die Trocknung unserer Stinkesocken. ;-) Goldsteig-Ultrarace - Da meinte es jemand sehr lieb mit uns... getrunken haben wir davon nicht, uns aber sehr drüber gefreut Goldsteig Ultrarace 2014

Acht Tage hatten wir nun Zeit, diese irre Distanz unter die Füße zu nehmen. Europas längster Toptrail, sollte lauftechnisch bezwungen werden. Und es war ein Trail wie er nicht trailiger hätte sein können. Es ging nicht nur über Stock und Stein, Felder und Wiesen, Felsen und Steige. Nein, auch steile, nicht enden wollende Berge, die wahre Wände waren, mussten bezwungen werden und teilweise endete der Weg im Nirgendwo und es ging durchs Unterholz weiter.

Unsere Füße waren trotz des meist guten Wetters durch die Wegeverhältnisse permanent nass. Ständig wechselten wir zwischen nassen Wiesen, Schlamm- und Wurzeltrails und rutschigen Kletterfelsen. Achim und Olaf waren jeweils unsere Rettung, wenn sie mit frischen Schuhen und Socken irgendwo am Wegesrand standen und wir die “Beinkleider“ tauschen konnten. Fast zu Tränen gerührt war ich, als wir am siebten Tag des Laufes um die Ecke bogen und sich uns folgendes Bild bot: die Beiden hatten zwischen Straßenschildern und Bäumen eine Wäscheleine gespannt und unsere alten nassen Stinkesocken in die Sonne gehangen.

Je nach Müdigkeit und Schwierigkeitsgrad der Strecke liefen wir zwischen 107 und 54 Kilometer pro Tag. Pro Nacht kamen wir auf eine bis höchstens 3 Stunden Schlaf. Das raubt natürlich nach und nach Energie und dennoch ist es überraschend gewesen, wie sich unsere Körper und unser Geist auch beim Laufen wieder erholen konnten. Am Tage, bei Helligkeit, erinnerte sich unser Geist an den gewohnten Biorhythmus und war wach. Des Nachts begannen bald die Schwierigkeiten. Nicht selten schlief ich mitten im Laufen ein und träumte Dinge, die dann zur Belustigung aller führten, wenn ich erzählte, was ich soeben halluziniert hatte. Olaf und Achim machten sich wohl wirklich Sorgen um unseren Zustand und entschieden bald, uns nachts abwechselnd zu begleiten. Auch die Zwei litten mittlerweile unter akutem Schlafmangel. So suchten sie doch immer wieder mit dem Wohnmobil einen Weg, der unseren Track querte, um uns zu verpflegen, unsere technischen Geräte aufzuladen, uns die Wünsche und Bedürfnisse von den Augen und den Beinen abzulesen. Sogar einen Weg zur Apotheke mussten sie erledigen. Ich litt währende des Laufes über die Dauer von 2 Tagen unter ausgewachsenen Magen- und vorallem durchschlagenden Darmproblemen!

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Unsere fleißigen Begleiter, Achim und Olaf, haben nachts so oft im Irgendwo gestanden und den richtigen Weg gesucht, gewartet bis wir den nächsten Streckenabschnitt durchlaufen hatten. Unmengen an Tee und Kaffee haben sie gekocht. Auf abgelegenen Straßen haben sie mehr oder weniger mitten auf der Kreuzung gestanden und Essen zubereitet. Am Tage, aber auch in der Nacht versuchten sie mit zwei Navigationsgeräten in den einsamen Dörfern den richtigen Weg und den Goldsteigpfad zu finden. Sie warfen Planungen über den Haufen, fuhren mit dem Wohnmobil kilometerlang durch den Wald, um dann festzustellen, dass es dort gar nicht weiter geht. Mitunter warteten sie an einem Treffpunkt, obwohl wir schon durchgelaufen waren. Sie haben sich verfahren und im Wald festgefahren. Selbst die Autobatterie war plötzlich leer und musste überbrückt werden . Frisches Wasser haben sie z.B. von Auto waschenden Senioren bekommen. Jedes Mal jedoch fanden sie schnell freundliche, die ihnen zur Seite standen.

Olaf und Achim erlebten neben all den tollen glutroten Mondaufgängen und Sonnenuntergängen auch ungeschönt unsere zeitweilige Wut, meine unverdrückbaren Tränen und schmerzende Verzweiflung. Unsere Emotionen lagen blank. Bis früh morgens sind sie teilweise mitmarschiert und haben dabei versucht, uns zu unterhalten und wachzuhalten. Trotz aller Anstrengungen auf beiden Seiten, haben wir unheimlich viel gelacht, Spaß gehabt und egal, ob abends um 23 Uhr oder morgens um 5 Uhr mit albernen Scherzen noch jede Menge Humor bewiesen.

Auch haben unsere 2 Begleiter mit wildfremden Läufern, deren Sprache sie nicht beherrschen, mit gefiebert, sie angefeuert, um ihnen das Durchhalten zu erleichtern, haben sie mitversorgt und dafür ganz viel Dank erhalten und neue Freundschaften geschlossen.

uebersichtskarte kleinUm den richtigen Weg über die Strecke des Goldsteiges zu finden, nutzen wir unsere Navigationsgeräte. Nur selten verlaufen wir uns ein kleines Stückchen – meist dann, wenn man gerade seinen Gedanken nachhing oder sich angeregt unterhielt. Jeder verlaufene Meter ärgert einen dennoch. Er kostet Zeit und Kraft… und eigentlich sollte die Distanz des Wettkampfes schon ausreichend sein. Durch Passau hindurch liefen wir allerdings unfreiwillig einen kleinen Stadtrundlauf, der völlig überflüssig war. Die gps-Daten waren äußerst ungenau, so dass wir nicht die Einzigen waren, die hier mit Orientierungschwierigkeiten zu kämpfen hatten.

Wir als Läufer hatten über den gesamten Zeitraum des Laufes einen Rucksack mit vorgeschriebener Pflichtausrüstung zu tragen. Neben Nahrung und Getränken gehören z.B. auch Regensachen, Stirnlampen, Ersatzsocken, Batterien, Geld, Wärmedecke und Taschenmesser dazu.

Durch die Fülle der Eindrücke an der Strecke und den langen Zeitraum für das Rennen, kann ich nicht chronologisch wiedergeben, was wann geschah. An einem der mittleren Tage jedenfalls regnete es ausgiebig. Dieser Tag sollte auch den technisch schwierigsten Trail beinhalten. Wir erklommen stundenlang Wege, die zu rasenden Bächen geworden waren. Mitten im Wasserfall, auf allen Vieren kletternd, oder sogenannte „Felsenmeere“ überquerend, benötigten wir teilweise für einen Kilometer locker eine Stunde. Höchste Aufmerksamkeit war nötig, um nicht abzustürzen.

Mit Fortschreiten der Tage bekamen wir arge Probleme mit unseren ständig nassen Füßen. Die felsigen, nicht enden wollenden Abstiege bescherten uns Blasen, die sich nach und nach auch entzündeten. Wir verpflasterten, trockneten, salbten und versuchten Schmerzen zu ignorieren. Die Schmerzen der Blasen waren übrigens die Einzigen, die sich während des gesamten Rennens einstellten. Rein orthopädisch blieb alles top! Selbst alte, zuvor nicht heilen wollende, Verletzungen, waren wie weggeblasen und blieben es auch!

Als Andy am sechsten Renntag verzweifelt versucht, seine Blasen zu versorgen, läuft Tonni, ein dänischer Läufer an uns vorbei, erkennt die Situation und ist sofort bereit, zu helfen. Aus seinem Rucksack zaubert er Verklebematerial und schenkt es uns. Unter den Ultrläufern herrscht zu jeder Zeit Solidarität und Verbundenheit – niemals Konkurrenz. Wir genießen miteinander und leiden miteinander. Immer wieder sind wir beeindruckt von der Philosophie des Ultralaufens. Es streichelt die Seele und lässt uns vom Alltag gesunden! Es erdet uns.

Goldsteig-Ultrarace - Passau nach 429km Goldsteig-Ultrarace - Unsere fleißigen Helfer: von li nach re: Achim Hermann und Olaf Woyjtaszek Goldsteig-Ultrarace - Nachtbild: So wach sahen wir nachts selten aus. Goldsteig-Ultrarace - Wurzeltrail: Aufstieg zum Dreisesselfelsen bei mistigem Wetter.

Goldsteig-Ultrarace - Felsenmeer: Durchquerung des rutschigen Felsenmeeres. Goldsteig-Ultrarace - Felsenmeer: Durchquerung des rutschigen Felsenmeeres. Goldsteig Ultrarace 2014 Goldsteig-Ultrarace - Die fünf Finisher

Der letzte Tag, die letzte Nacht sollten uns an unsere Grenzen bringen. Hier bin ich bereit, zum ersten Mal in meinem Leben zu bejahen, wenn jemand behauptet, dass das was wir tun EXTREM ist. Sonst sträube ich mich gegen diesen Begriff – er ist relativ! Wegen akutem Schlafmangel und enormen Fußschmerzen, legen wir noch einen zweitstündigen Stopp ein. 5 Uhr am Morgen beginnen wir dann mit den letzten 27 Kilometern. Jeden Schritt empfinde ich als tausend Messerschnitte in meine Füße. Die pure Verzweiflung naht, wenn man dem Ziel so nahe ist und die Zeit doch schneller laufen kann, als man selbst. Fast 7 Stunden benötigen wir für diesen Abschnitt und erreichen das Ziel nur 20 Minuten vor dem Cutoff, dem Zielschluss.

Drei Kilometer vor dem Ziel kommen uns 5 Freunde entgegen: Olaf, Achim, die Mama des mitlaufenden Amerikaners Emilio, Constanze, die bis Kilometer 568 den Goldsteig laufen konnte und Tete, ihr Freund und Betreuer. Sie wollen uns auf den letzten Metern Motivation und Kraft geben. So richtig habe ich die Situation gar nicht begriffen und unseren Zieleinlauf nicht wirklich wahr genommen. Zu müde und echt neben der Kappe war ich. Wir waren die Letzten, die ins Ziel liefen…. Ich war noch nie Letzte! Hier jedoch bedeutete es meinen Sieg beim längsten Nonstoplauf, dem härtesten Lauf Europas. Keine andere Frau konnte finishen. Insgesamt erreichten nur 5 Läufer das Ziel. Zwei davon kommen aus Attendorn. Gewonnen hat der Spanier Joel Jaile Casademont. Zweiter wurde der deutsche Matthias Schramm. Den dritten Platz belegte der Däne Tonni Bager. Auf dem vierten und „letzten“ Platz durften wir uns eintragen.

Nur `fünf Läufer im Ziel` klingt sehr wenig, dennoch erbrachten die Jungs und Mädels, die das Ziel nicht erreichen konnten, auch faszinierende Leistungen. Fast jeder, der in Marktredwitz gestartet war, lief innerhalb der 8 Wettkampftage, die Distanz betreffend, seinen persönlichen Rekord. So hatten bis Kilometer 260 erst 3 Läufer aufgeben müssen. Bis Passau – Kilometer 429 - liefen immerhin 18 Starter und bis Kilometer 568 kämpften sich, incl. der Finisher, 9 Sportler. Eine Wahnsinnsleistung. Die Abkürzung „DNF“, die in der Ergebnisliste dann für „Did not finish“ steht, scheint unpassend, ob der enormen Leistung der Ultraläufer. Irgendwie sind sie alle Sieger und ich konnte keinen finden, der trotz DNF unglücklich gewesen ist.

Das Schönste nach 8 Tagen Kletterei, Schlammwaterei, Sumpfdurchquerung, Geröllabstiegen…. ist, endlich wieder zu duschen, Haare zu waschen und eine Toilette benutzen zu können.

Die Zeit auf dem Goldsteig wird unvergesslich bleiben! Dies war der Höhepunkt unseres Läuferlebens, den wir nicht toppen wollen. Wir genießen den Erfolg und das gemeinsame Erlebnis, an welches wir uns noch ewig erinnern werden, aber diese MEGA-Tour werden wir nicht wiederholen.

Tief beeindruckt und gerührt hat es uns, als wir später im Internet lesen konnte, wie viele Menschen, teilweise wildfremd, mit uns mit gefiebert haben und gespannt den Rennverlauf verfolgten. Von Verzweiflung berichteten sie, als unser Zieleinlauf so lange auf sich warten ließ. Von Freudentränen, Gänsehaut und Luftsprüngen schrieben sie, als endlich die Information unseres Zieleinlaufes noch vor dem Cutoff veröffentlicht wurde.

Wir haben das Gewesene noch immer nicht wirklich begriffen und schweben irgendwo auf unserer Ultrawolke. Schweben ist momentan sowieso angenehmer, als die noch leicht geschundenen Füße zu benutzen. Diese sind aber in spätesten 2 Tagen wieder heile und unsere Erinnerung an intensives gemeinsames Erleben wird für ewig bleiben.

Wir sind glücklich über das Geschenk unser Gesundheit und solch wunderbare Freunde zu haben. Wir wissen, dies ist nicht selbstverständlich und sind deswegen unheimlich dankbar dafür.

(Danke für den Beitrag, der im Original auf der Webseite des TV Attendorn erschienen ist)

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